Kopfnoten abschaffen!

Am 18. Januar 2008 kamen 500 Schülerinnen und Schüler auf dem Borneplatz in Rheine zusammen, um auf einer Kundgebung der Stadt-Schülervertretung Rheine gegen die neu eingeführten sechsfach aufgefächerten Kopfnoten zu protestieren.

Lothar Kurz, stellvertretender Vorsitzender des GEW-Kreisverbandes Steinfurt, hielt bei dieser Veranstaltung den folgenden Redebeitrag:

Foto: Münstersche Zeitung

Liebe Schülerinnen und Schüler!

Ich freue mich, dass so viele von euch zu dieser Kundgebung erschienen sind, in der es darum geht, gegen die Kopfnoten zu protestieren, die euch in der jetzt vorgeschriebenen Form vor etwa einer Stunde zum ersten Mal serviert worden sind.

Wenn ich einen kurzen Blick auf die Zeit vor den Kopfnoten werfe, kann ich feststellen:

Viele Jahrzehnte lang durften die Lehrerinnen und Lehrer, wenn sie es im Einzelfall für nötig oder pädagogisch sinnvoll hielten, auf den Zeugniskonferenzen darüber beschließen, ob sie die Beurteilung der Schülerinnen und Schüler durch Leistungsnoten in der knappen Form "sehr gut", "gut", "befriedigend" usw. durch eine ausformulierte zusätzliche schriftliche Bemerkung ergänzen wollten.

Bemerkungen dieser Art konnten etwa lauten:
- "Axel muss morgens pünktlicher zum Unterricht erscheinen." oder
- "Gregor muss sein Hausheft sorgfältiger führen."

Es waren aber auch Bemerkungen folgender Art möglich:
- "Linus hat das Klassenbuch mit besonderer Sorgfalt geführt." oder
- "Hannelie hat sich bei der Vorbereitung der Klassenfahrt in besonderer Weise engagiert."

Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung über die verpflichtenden Kopfnoten galt in der guten alten Zeit dabei zusätzlich folgende Vorschrift: Solche Bemerkungen, die sich auf das Arbeits- und Sozialverhalten bezogen, durften nicht auf Abgangszeugnissen stehen, d.h. etwa auf den Zeugnissen, die die Schülerinnen und Schüler nach der Klasse 10 immer wieder bei Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz oder später auch Arbeitsplatz vorlegen müssen - oder auch nicht auf dem Abiturzeugnis.

Wenn eine Schülerin oder ein Schüler der Klasse 10 sich nach Abschluss des ersten Schulhalbjahres mit dem Halbjahreszeugnis um eine Lehrstelle bewerben wollte und dieses Halbjahreszeugnis eine Zusatzbemerkung der soeben dargestellten Art enthielt, konnte sie oder er zum Zwecke der Bewerbung die Neuausfertigung eines Halbjahreszeugnisses verlangen, das die zusätzliche Bemerkung nicht mehr enthielt.

Was wurde durch diese früher praktizierte Regelung deutlich? Die Schülerinnen oder Schüler - und natürlich auch die Eltern - sollten in schriftlicher Form eine klare Rückmeldung hinsichtlich des Arbeits- und Sozialverhaltens erhalten; diese Rückmeldung sollte aber ausdrücklich nicht einem weiteren Personenkreis - und da wird man in erster Linie an Personalchefs denken - zu Gesicht kommen.

Anders formuliert: Im Innenverhältnis der Schule sollten Lob und Tadel in einer pädagogisch verantwortlichen Weise erteilt werden, die Schülerinnen und Schüler sollten aber nicht nach außen hin bloß gestellt werden.

Das gilt jetzt offenbar nicht mehr. Die neue Landesregierung hat ihre Schulpolitik nach Maßstäben ausgerichtet, die offenbar auf das genaue Gegenteil hinzielen: mit sechs Kopfnoten auf allen Zeugnissen wird der "gläserne" Schüler erschaffen. Die Landesregierung hat in diesem Zusammenhang wiederholt betont, "die Wirtschaft" - und damit sind wohl in erster Linie die Personalbüros gemeint - habe die Einführung der Kopfnoten verlangt.

Wenn dies zutreffend ist - und ich habe eigentlich keinen Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage, dann muss man sich fragen, ob die Interessen der Wirtschaft und die Interessen der Schülerinnen und Schüler in diesem Augenblick deckungsgleich sind.

Die Schülerinnen und Schüler möchten, wenn sie die Schule verlassen, ein Studium aufnehmen oder eine berufliche Ausbildung beginnen.

Die Bundesagentur für Arbeit stellt jedes Jahr zum Stichtag 30. September fest, wie viele Ausbildungsplatzbewerber im Sommer des Jahres keine Lehre beginnen konnten. Am 30. September 2007 zählte die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen 7335 unversorgte Ausbildungsplatzbewerberinnen und -bewerber. Diese Zahl signalisiert zwar eine gewisse Entspannung gegenüber den Vorjahren, ist aber für sich allein betrachtet noch nicht aussagekräftig. Denn die Statistik der Bundesagentur enthält nur diejenigen jungen Menschen, die sich in diesem Jahr erstmals um einen Ausbildungsplatz bewarben. Hinzugerechnet werden müssen nach Schätzungen des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen des Deutschen Gewerkschaftsbundes etwa 40000 Altbewerber aus den letzten Jahren, die immer noch ohne Ausbildungsplatz sind und sich bei Berufskollegs oder in Einstiegsqualifizierungen befinden, obwohl sie eigentlich eine Berufsausbildung im dualen System absolvieren möchten.

Dies führt dazu, dass nach einer Studie des Deutschen Jugendinstituts in Nordrhein-Westfalen 28 Prozent der jungen Menschen bis 25 Jahre ohne beruflichen Abschluss sind - der höchste Wert bundesweit.

Hier liegt nach Auffassung der Gewerkschaften das eigentliche Problem hinsichtlich der Phase des Übergangs von der Schule in das Erwerbsleben.

Hier sollte nach Auffassung der Gewerkschaften die Landesregierung tätig werden, statt Kopfnoten einzuführen, die den Konkurrenzdruck der Bewerberinnen und Bewerber um Lehrstellen untereinander erhöhen, aber keinen einzigen neuen Ausbildungsplatz schaffen.

Diese Kundgebung sollte ein Anstoß dafür sein, dass die hier Versammelten jungen Menschen daran gehen, in diesem Sinne für ihre eigenen Zukunftsinteressen aktiv zu werden.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


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